Zum Liederabend am 26. Juni 1985 in Feldkirch


    

     Vorarlberger Nachrichten,  28. Juni 1985     

3. Liederabend mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Feldkircher Stadthalle

Bitterkeit und seelische Qual ...

    

kennzeichnen die meisten Lieder der "Wunderhorn"-Sammlung von Gustav Mahler, die der große Liedsänger in seinem dritten Schubertiade-Konzert höchst eindrücklich interpretierte. In Mahlers Hamburger Zeit, zwischen 1891 und 1897, entstand eine Liedgruppe von zwölf Liedern nach alten Gedichten aus der Sammlung "Des Knaben Wunderhorn", die Achim von Arnim und Clemens Brentano zu Beginn des 19. Jahrhunderts herausgegeben haben. Mahler schöpfte damit aus dem ihm stets gegenwärtigen Erinnerungsschatz aus seiner Kindheit. Märsche und Ländler gehörten ja zu den frühesten musikalischen Eindrücken des jungen Mahler. Als überaus sensibler, psychisch gefährdeter Mensch beißt er sich fest am unentrinnbaren Soldatenschicksal, immer wieder in nächster Umgebung mit dem Tod konfrontierrt, mit Krieg und menschlichem Elend. Die Hälfte des Liedprogramms stand unter diesem Zeichen, wohl auch z.T. die bedeutendsten Lieder Mahlers enthaltend, wie "Revelge" oder "Wo die schönen Trompeten blasen". Der große Mahler-Experte Th. Adorno sagte in einer Wiener Rede über diese Lieder: "Zeit seines Lebens hat seine Musik es mit denen gehalten, die aus dem Kollektiv herausfallen und zugrunde gehen, mit dem armen Tambourg’sell, der verlorenen Feldwacht, dem Soldaten, der als Toter weiter die Trommel schlagen muß. Sie alle sind ‚Balladen des Unterliegens’." Die zahlreichen Märsche, die immer wieder mit erneuter, zur Morbidität umgedeuteter Emphase am Hörer vorbeimarschieren, verkehren den Gestus des Sieghaft-Pompösen in ihr vernichtendes Gegenteil. Der unerbittliche, fatalistische Ausdruck dieser Lieder und auch anderer Gesänge wie "Das irdische Leben" oder "Nicht wiedersehen!" ergriff den Hörer in der Interpretation Fischer-Dieskaus ebenso wie die enthobenen, schmerzlich-wehmütigen Phrasen im pp. Doch der Sänger zeigte zusammen mit seinem mitatmenden Klavierpartner, der an diesem Abend schwierigste Satzstrukturen technisch und musikalisch zu meistern hatte, daß er neben die erwähnten Lieder große spannungsvolle Kontraste zu setzen weiß wie "Rheinlegendchen" mit seiner eigenartigen Mischung von Überschwang und Wehmut oder das herrlich verspielte "Wer hat dies Liedlein erdacht?" mit den lustig komischen Koloraturen, die Fischer-Dieskau mit Humor und subtilster Leichtigkeit vortrug. Als einmaliges Erlebnis muß hier auch "Des Antonius von Padua Fischpredigt" in der Darstellung Fischer-Dieskaus erwähnt werden, denn diese im Text intendierten Gefühlsqualitäten wie hintergründig durchschimmernder Zynismus, Betriebsamkeit, Nichtswürdigkeit, wurden durch den ihm eigenen genau dosierten Ausdruckswillen zu einem humoristischen Bild intellektueller Prägung und nicht, wie bisweilen zu hören, zu einer Posse. Der klanglich schillernde Klavierpart, äußerst schwierig zu realisieren, übermitttelte in köstlicher Manier das Auf- und Absteigen von chromatisierten Passagen, einer Gebetsmühle entsprechend. Übrigens hatte sich kein Geringerer als J.W. von Goethe an diesem Text erfreut.

Herausragende Lieder des zweiten Programmteils waren sicherlich "Das Lied des Verfolgten im Turm" mit seinen an die Grenzen der Expressivität gesteigerten Kontrasten und das wundervolle Lied "Wo die schönen Trompeten blasen", Schubertscher Melodik verwandt, dessen Text Mahler völlig umgestaltete und eine Konzentration auf das Wesentliche schuf. Mit weiteren Zugaben, die der gebefreudige Sänger einem begeisterten Publikum immer gerne gewährt, ging ein großer Liederabend zu Ende, der nicht beglücken konnte wie Gesänge von Schubert oder Schumann, der jedoch durch seine Faszination den Hörer voll und ganz erfaßte.

Hans-Udo Kreuels

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