Zum Liederabend am 5. März 1986 in Stuttgart


   Stuttgarter Nachrichten, 7. März 1986   

Bartók-Oper mit Varady und Fischer-Dieskau unter Hauschild

  Ein wahres Meisterkonzert

    

Mit einer konzertanten Aufführung von Bela Bartóks symbolistischem Operneinakter "Herzog Blaubarts Burg" im Beethovensaal gelang es Wolf-Dieter Hauschilds Stuttgarter Philharmonikern in kühnem Aufschwung, sich vollgültig in der Trias der Stuttgarter Sinfonieorchester zu etablieren. Ein halbes Jahr nach Hauschilds Amtsübernahme als städtischer GMD und dank gezielter Förderung der Philharmonie durch Stadt und Land, zahlt sich die kulturpolitische Investition jetzt schon aus: Mit dem prominenten Sänger-Ehepaar Julia Varady (Mezzosopran) und Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton) als denkbar souveränen Solisten erlebten nahezu 2000 Zuhörer eine Aufführung von außergewöhnlicher Eindruckskraft und Dramatik, die dem hohen künstlerischen Rang von Bartóks einziger Oper voll entsprach.

[...]

Julia Varady, wie ihr Partner in ungarischer Originalsprache singend (deren Idiom kompositorisch voll genutzt wird) imponierte mit sonorer Strahl- und Gestaltungskraft; und Fischer-Dieskau bot einen neuerlichen Beweis nicht nur für seine beispielhafte rhetorische Präzisierungsfähigkeit, sondern auch für seine nach wie vor bewunderungswürdige, geradezu unglaubliche stimmliche Kontinuität. Das tief beeindruckte Publikum erlebte ein wahres Meisterkonzert.

Dieter Schorr

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   Stuttgarter Zeitung, 7. März 1986   

Umgekehrter Lohengrin

"Herzog Blaubarts Burg" bei Philharmonikern

   

Mozart und Bartók: sie veranlaßten die Stuttgarter Philharmoniker in ihrem jüngsten Abonnementskonzert im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle zu einer Mobilisierung aller ihrer Kraftreserven - der eigenen und der eigens für diesen Abend hinzugezogenen Hilfstruppen. Bei Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" konnte man meinen, das Orchester hätte während der Pause seine Personalstärke schlicht verdreifacht. Staunend, erst befremdet ob der ungewohnten ungarischen Sprache, dann zunehmend gebannt und zum Schluß seiner Begeisterung unverhohlen Ausdruck verleihend, reagierte das Publikum auf ein Konzert der Sonderklasse, dessen alles andere als alltägliche Programmzusammenstellung wohl einer Wunschvorstellung des neuen Chefdirigenten Wolf-Dieter Hauschild entsprang. [...]

Höchste Zeit, daß Hauschild wieder einmal an Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" erinnerte [...]

Immer wieder fasziniert dieser Operneinakter aus dem Jahr 1918. [...] Hinzu kommt Bartóks so unverkennbar der ungarischen Sprache entstammendes, höchst individuelles Parlando, dessen rhythmische Diffizilitäten sich freilich nur dann voll entfalten können, wenn in dieser Sprache gesungen wird. Daß Ausführende und Zuhörer sich in gleicher Weise willig dieser Anstrengung unterzogen, stellt beiden das glänzendste Zeugnis aus.

Daß sich die Anstrengung gelohnt hat, steht außer Zweifel. Hauschild blättert diese Oper wie ein Balladenbilderbuch vor uns auf, in immer neuen, immer prächtigeren (oder furchterregenderen), höchst charakteristisch gegeneinander abgesetzten Tableaus, beginnend mit dem raunenden, kaum hörbaren pianissimo misterioso der Streicher in einem unbeirrbar gesteigerten Crescendo zum dreifachen Fortissimo mit Orgel und dem Fernchor der Trompeten und Posaunen beim Öffnen der fünften Tür, das in seiner strahlend-ehernen E-Dur-Pracht den Raum zu sprengen droht, um danach wieder zurückzusinken in die ausweglose Nacht und Einsamkeit des dreifachen Pianissimo-Schlusses.

Dabei übertönt er nie die Sänger, modelliert er aufs schärfste die einzelnen Instrumentengruppen - nicht nur in den schrillen Klängen der Folterkammer oder in der harfenglitzernden Idylle des Zaubergartens, sondern auch in der Melancholie des terzenlosen Tränensees, über dem die tiefen Streicher wie ein Gesang über den Wassern erklingen. Der dramatische Impetus, mit dem Hauschild hier Bild um Bild vor uns in geradezu optischer Qualität erstehen läßt, bewirkt, daß wir den Orchesterbeitrag wie einen deutschen Kommentar zum ungarischen Text hören - eine fabulöse Leistung.

Kommt hinzu, daß für die Aufführung zwei so hochkarätige Sängersolisten wie Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau zur Verfügung standen. Auch ohne in der Lage zu sein, die Idiomatik von Fischer-Dieskaus Ungarisch beurteilen zu können, fesselte er uns durch seine wieder unwahrscheinlich reich nuancierte, mühelos bis zum tiefen G und Fis reichende Textdeklamation, aufs bewegendste den gequälten, endlich auf Erlösung hoffenden Charakter dieses Mannes deutlich machend.

Lag es daran, daß wir Julia Varady in Stuttgart zuletzt in Soltis konzertanter "Lohengrin"-Aufführung gehört haben, wenn uns bei dieser Gelegenheit die Handlungsparallelen zwischen "Lohengrin" und "Herzog Blaubarts Burg" so nachdrücklich bewußt wurden (die fragende Insistenz, mit der Judith wie Elsa die Natur des Mannes zu ergründen suchen, dessen Sehnsucht nach der erlösenden Liebe)? Wieder verblüffte Varady uns, wie sie zarte, aber auch mächtig ausladende Verlautbarungen gleich souverän bewältigt, welche Nuancen sie allein ihrem vielfachen "Kékszakállú" zu geben vermag, wann immer sie den Herzog anredet. Die Entwicklung, die sie durchmacht, von der liebevoll-zärtlichen Hingabe, mit der sie die Burg betritt, über die staunende Bewunderung und die angstvolle Entdeckung all der blutigen Flecken und Spuren bis zur schweigenden Resignation, mit der sie sich einreiht in die Schar der früheren Frauen Blaubarts, läßt sie wie eine umgekehrte "Lohengrin"-Protagonistin erscheinen - sie ist es, die Abschied nimmt und zu ihren Schwestern zurückkehrt, während Blaubart-Lohengrin zurückbleibt, allein in seiner Burg, unerlöst: "Nacht bleibt es nun ewig ... immer, ... ewig ... immer ..."

Horst Koegler

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