Zum Liederabend am 25. Juli 1988 in München    


     Süddeutsche Zeitung, 27. Juli  1988     

Münchner Opern-Festspiele

Heiterste Melancholie

Dietrich Fischer-Dieskaus Abend mit Strauss-Liedern

     

Sieben sehr vergnügte Tage verbrachte Goethe im August 1813 in Ilmenau: Auf dem Weg dorthin, unterwegs (nebenbei: zu Pferde) hatte er ein Lied gedichtet: "Gefunden" (Ich ging im Walde so für mich hin ...), zugeeignet Christiane Vulpius zur 25jährigen Verbindung mit ihr.

Ein Präsent zur Silberhochzeit also (auch wenn Goethe die Heirat erst 1806 gewagt hatte); Rückschau eines von Zweisamkeitsglück Satten, der eins ist mit sich und hochzufrieden mit der Entscheidung, dieses Blümchen in seinen Garten getragen zu haben, wo es nun zweigt "und blüht so fort".

Biederglück? Nein, so war es natürlich nicht; wir wissen es, Richard Strauss, der dieses "Gefunden" vertont hat (neben ungefähr drei Dutzend weiterer Komponisten, die sich mit diesem einfachen Lied abmühten), Richard Strauss, der brave Ehemann, weiß es. Trotzdem: Anders als bei den übrigen Liebesliedern dieses reinen Strauss-Programms, das Dietrich Fischer-Dieskau für die Münchner Totale zusammengestellt hat, enthält sich der Komponist hier eines Kommentars. Er (und Fischer-Dieskau) erzählt schlicht eine einfache, schöne Geschichte; stellt sie nicht in Frage – und versichert so, daß er dem alten Goethe das Glück mit seinem Bettschatz von Herzen gönnt (nur noch drei Jahre dauerte es; 1816 starb die Vulpius).

Andern gönnt er es nicht; zumindest hat Strauss Zweifel. Nein, nicht daß einer, wenn er von Frieden und Ruhe spricht ("Heimkehr" von Schack) oder sich erwärmt am Frühling der Liebe ("Winternacht" von Schack), verzweifelte am Glück, mißtraute, bangte, gar wüßte von Vergänglichkeit. Ganz rund, ganz ausgeglichen sind die Liebesbeziehungen, die hier besungen werden. Und still das Glück – nicht stürmisch, leidenschaftlich. Situationen beschaulicher Harmonie läßt Strauss, läßt Fischer-Dieskau entstehen ... Wären da nicht diese tückischen Liedschlüsse, die Kunst des Komponisten und des Sängers, einen Ton, einen Gedanken in der Schwebe zu halten, einem Klang nachzuhören, ihn auszudehnen über die Zeit (aber nicht in Ewigkeit – gerade weil ein Ton so lange gehalten wird, wird das endgültige Abbrechen schmerzlich bewußt). Ein Lied zieht sich zurück ins Pianissimo: Da löst sich – durchsichtig, unhörbar gemacht – ein Bild ("Ruh bei dir allein") ins Nichts auf. Und so das Glück, das wir Zuhörer (im bis zum letzten Stehplatz ausverkauften Nationaltheater) eben noch sicher in den Händen hielten. Gewißheit wird zur Frage, und wir haben für diesen Abend auch etwas gelernt von romantischer Ironie (diese leise Skepsis übrigens ist sehr viel witziger als die massive Lustigkeit der heiteren Lieder, in denen uns Strauss beziehungsweise die Dichter augenzwinkernd, neckisch daherkommen).

Dietrich Fischer-Dieskau (er hatte zu Beginn einige Probleme; aber was besagt das schon, ihm gelingt es noch immer, gegen ein penetrant jede Atem-, jede Gedankenpause vollhustendes Publikum die Zauberatmosphäre absoluter Stille durchzusetzen). Fischer-Dieskau verdoppelte diese Brechung noch, die zu fein gesponnen ist, als daß sie schon Gebrochenheit bedeutete. Er steht, gerade weil er (anders als bei seinen Schubert-Interpretationen, wo er dem Gefühl unbedingt vertraut) durch Mimik und Gesten den Glücksinhalt eines Gedichts sichtbar macht, wie außerhalb des Textes; er zeigt, während er uns ein Gemälde vollendeten Friedens entwirft, daß Gefühle auch Gemachtes sind. Er inszeniert bewußt, läßt uns auch zusehen dabei, wie er Gefühl inszeniert, und stellt doch gleichzeitig dieses Gefühl vollkommen her.

Andererseits: Bei den Abschiedsliedern, da wo die Liebe nicht gelingt, wo einer bangt, weil ihm die Nacht die Liebste stiehlt ("Die Nacht" von Gilm), wo einer sich grämt, weil er den anderen nie besitzen wird ("O wärst du mein" von Lenau), da bleibt Fischer-Dieskau seltsam unbeteiligt sachlich. Ganz ohne alle Larmoyanz, ohne Selbstmitleid stellt er fest: Es ist "vorbei, vorbei" ("Stiller Gang" von Dehmel). Oder doch nicht? Auch hier hält Fischer-Dieskau ganz wunderbar die Balance zwischen Gewißheit und Hoffnung. O ja, sie kichern und huschen, die Heineschen Schattengestalten ("Waldesfahrt"), necken uns einen Abend lang, schneiden spöttisch Gesichter.

Inniger, anhaltender Applaus nach dieser Lektion heiterster Melancholie des 19. Jahrhunderts. Vier Zugaben ("Traum durch die Dämmerung", "Ständchen", "Morgen", "Freundliche Vision"). Danach packte Hartmut Höll demonstrativ die Klaviernoten zusammen, schleppte die Blumen ab.

Nachtrag zu Goethe und Strauss’schem Witz: Das Gedicht "Wanderers Gemütsruhe" (1814, aus dem "Westöstlichen Diwan") zieht wie ein Gewitter vorbei, ein heftiges, zorniges Donnerwort ins Publikum geschleudert.

Elisabeth Bauschmid

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     Münchner Merkur, 27. Juli 1988     

Für Münchner unverzichtbar

Dietrich Fischer-Dieskaus Festspiel-Liederabend in der Oper

   

Dietrich Fischer-Dieskaus Liederabend erweist sich immer wieder als unverzichtbarer Bestandteil des Münchner Festspielprogramms: ausverkauftes Nationaltheater, lang anhaltender Begrüßungsbeifall, Einstimmung auf inhaltliche Schwerpunkte; diesmal also Richard Strauss. Es war eine exquisite Auswahl, die der repertoirekundige Sänger getroffen hatte und mit einem späten und gleichzeitig bekannterem Lied begann: mit der Vertonung von Heines reizendem Gedicht "Schlechtes Wetter" aus den "Fünf kleinen Liedern" von 1919, dem bevorzugten Werk in dieser wohl absichtlich bunten Programmfolge; auch Arnims "Einerlei" gehörte dazu und noch ein äußerst inspiriertes Heine-Lied: die "Waldesfahrt". Als Gegenpol gewissermaßen, als Beispiel aus dern 37 Jahre früher entstandenen "Acht Gedichten nach Hermann von Gilm" sang Fischer-Dieskau auch wieder eines der bekannteren Lieder dieses Abends: "Die Nacht". Das war im ersten Programmteil, der die – wenn auch nicht populäreren, so doch verbreiteteren – Strauss-Lieder enthielt; auch noch "Ruhe, meine Seele" oder Felix Dahns "Ach weh mir unglückhaftem Mann".

Ein Text wie dieser gibt Fischer-Dieskau natürlich Anlaß zu sparsamer, gleichwohl sehr prononcierter Mimik und Gestik. Sie sind heute allgemeiner Bestandteil seiner Ausdrucksmittel, jener Teil, in dem er am wenigsten übertreibt, während seine stimmlichen Forte-Ausbrüche doch oft allzu schroff geraten. Bewundernswert ist nach wie vor seine Technik; er erreicht alle Register nahezu mühelos, wenn auch nicht gleich klangvoll. Sehr schön die beiden Lieder aus op. 56, Meyers leicht impressionistisch eingefärbtes "Im Spätboot" und ein ganz bekannter Goethe: "Gefunden"; aber auch Lenaus tief resignatives "O wärst du mein". Dramatisch bewegt, in Komposition und Gestaltung "Wanderers Gemütsruhe" (Goethe) und "Winternacht" (Schack); eigenartig artifiziell die beiden Wunderhorn-Lieder ("Himmelsboten" und "Junggesellenschwur"). Und von besonderer Wirkung die vier Kostproben aus dem "Krämerspiegel", jenem parodistischen Kommentar zur deutschen Musikverleger-Szene.

Am Schluß dann ein Berg von Blumen, endloser Applaus – auch für Hartmut Höll, einem nur gelegentlich etwas farblosen Begleiter par excellence – und ein paar Bonbons als Zugaben: den "Traum durch die Dämmerung", das "Ständchen" und – in einem Adagio an der Grenze des Möglichen – "Morgen".

Karl Robert Brachtel

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     Abendzeitung, München,  27. Juli 1988     

Oper: Liederabend Fischer-Dieskau

   

Liederabend im Nationaltheater. Bei den Münchner Opernfestspielen sang Dietrich Fischer-Dieskau, am Flügel Hartmut Höll, Werke von Richard Strauss.

Dietrich Fischer-Dieskau ist ein Geschichtenerzähler. Für ihn sind Strauss’ Lieder nicht nur Stimmungsbilder, sondern besitzen einen dramaturgischen Ablauf. Ob Lenaus Liebesschmerz, Heines Ironie oder Goethes moralischer Zeigefinger, Fischer-Dieskau lotet mit schauspielerischer Intensität die Nuancen von Text und Musik aus. Auch Hartmut Hölls Klavierbegleitung besitzt eigenständigen interpretatorischen Wert, jeder Note entspricht Gestik und Mimik des Baritons, einem Ballen der Fäuste, einem Stirnrunzeln, einem saloppen Sichzurücklehnen.

Lange beschränkte sich Fischer-Dieskau aufs Deklamatorische, zwang das Publikum mit gehauchten Pianissimo-Höhen zum Zuhören – nichts für Freunde großer Sängertöne. Ein perfektes Timing, durchgehende Spannungsdichte und ein Auskosten der vertrackten Strauss-Harmonik bestimmten den Vortrag.

Vier Lieder aus dem "Krämerspiegel", von Strauss nach Vertragsstreitereien als bitterböse Abrechnung mit dem deutschen Verlagswesen komponiert, setzten den humorvoll-derben Schlußpunkt eines bejubelten Liederabends.

Markus Vanhoefer

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     tz, München, 27. Juli 1988     

Großmeister Rattenfänger

Liederabend Fischer-Dieskau

   

Das von endlosem Atem getragene Mezzavoce und die überaus variable Stimmcouleur sind seine Schatzkammer, das unbeschreiblich einfühlsame Textverständnis und der ebenso kopf- wie emotionsgesteuerte Interpretationswille sein Königreich. In ihm bewegt sich Dietrich Fischer-Dieskau mit unverminderter Meisterschaft.

Sein Festspiel-Liederabend im Nationaltheater geriet wieder einmal zum Großereignis. Aus vorgegebenem Anlaß sang er diesmal eine Richard-Strauss-Auswahl, wohlvertraute und selten gesungene Lieder, darunter so Traumverlorenes wie "Die Nacht" oder "Ruhe meine Seele", so verschmitzt Charmantes wie "Einerlei" und so deftig Sarkastisches wie die vier Lieder aus dem "Krämerspiegel.

Als - vom Publikum heiß erkämpfte - Zugaben dann die lyrischen Hits "Ständchen", "Morgen", "Traum durch die Dämmerung" und "Freundliche Vision". Er weiß was er tut! Und wie er es tut, das ist einmalig, so einmalig, daß man um die Nachfolge fürchten muß.

Seine Interpretationen sind allemal Nach-Dichtungen, Nach-Kompositionen. Gelegentlich verlagert er Höhepunkte, pianisiert an den erstaunlichsten Stellen und trifft doch immer ins Herz der Aussage. Die lockere Selbstverständlichkeit, hinter der ein Höchstmaß an Disziplin spürbar bleibt, - die selbstgenießerische Eleganz des Vortrags, das alles ist das hochartifizielle Werkzeug eines großmeisterlichen Rattenfängers.

An diesem Abend unterstützte ihn der junge Hartmut Höll am Flügel. Der überaus flexible Sensibilist hatte mit Strauss eine anspruchsvoll vielfarbige Klangwelt zu bedienen.

Warum mußte dieser Abend zu Ende gehen?! Das enthusiasmierte Publikum wollte es nicht wahrhaben und – vielleicht applaudieren die "Fi-Di"-Fans immer noch.

E. Lindermeier

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