Zum Liederabend am 28. September 1988 in Berlin


    

     Berliner Morgenpost, Datum unbekannt     

Nuancen und ironische Untertöne

Richard Strauss im Mittelpunkt eines Liederabends von Fischer-Dieskau

     

Dietrich Fischer-Dieskau widmete seinen zweiten Liederabend in der Deutschen Oper Richard Strauss. Sein Strauss-Programm vom vergangenen Jahr hatte er um eine Reihe von Liedern erweitert. Seine Auswahl umspannte von op. 10 bis op. 69 einen Zeitraum von 35 Jahren im Leben des Komponisten.

In Liebesliedern verschiedener Couleur – von der hoffnungsfrohen, 1885 komponierten "Heimkehr" bis zur schmunzelnden Schwärmerei des "Einerlei" von 1918 -, spiegelt sich Richard Strauss’ kompositorische Entwicklung. Dietrich Fischer-Dieskau verdichtet die Wechselfälle des lyrischen Liebesreigens mit großem Einfühlungsvermögen zu Gefühlsprojektionen von suggestiver Kraft, denen man sich nicht entziehen kann.

In Hartmut Höll hat er einen Partner am Flügel, der mit äußerster Sensibilität auf den Sänger eingeht, ihm mit Klangdelikatesse und Verständnis den Boden bereitet. Der intensiven Zusammenarbeit von Fischer-Dieskau und Höll entspringen so ungewöhnlich dichte, eindringliche Interpretationen wie die von "Ruhe, meine Seele", die in der Erregung und Ruhe einander tief durchdringen. Neben den Liebesliedern lag ein zweiter Schwerpunkt des Programms auf Liedern mit spöttischen, zynischen Untertönen. Fischer-Dieskau, der Meister der Nuancen und Schattierungen, setzte seine Stimme mit der gewohnten Beweglichkeit auf "Schlechtes Wetter" und "Wanderers Gemütsruhe" an. Mit vier der zwölf Lieder aus dem "Krämerspiegel", den Vertonungen von Alfred Kerrs Spottgedichten auf die Verleger, setzten Fischer-Dieskau und Höll einen spritzigen Schlußakzent.

Martina Helmig

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