Zum Konzert am 18. Oktober 1990 in München

    

     Süddeutsche Zeitung, 20./21. Oktober 1990     

    

Abseits des Gewohnten

Die Deutsche Kammerphilharmonie im Herkulessaal in München

     

Endlich ist die Deutsche Kammerphilharmonie, die ausgefallene Wege zu gehen versucht, vom akustisch unbefriedigenden Carl-Orff-Saal umgezogen in den Herkulessaal. Das rege Zuhörerinteresse machte den Wechsel möglich. Im Orff-Saal wurde nie so recht klar, ob das Ensemble ein Opfer der schlechten Verhältnisse war oder an Grenzen stieß. Das Konzert im Herkulessaal nun zeigte ein ganz ausgezeichnetes Orchester, dem die musikalische Hingabe und Begeisterung ebenso anzuhören ist wie ein erstaunliches instrumentales Niveau. David Shallon, vor 40 Jahren in Tel Aviv geboren, zur Zeit Chefdirigent in Düsseldorf, dirigierte.

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Nach der Pause die 14. Symphonie von Schostakowitsch aus dem Jahre 1969. Sie ist ein orchestrierter Liederzyklus, geteilt in vier Sätze. Schostakowitsch hat sie nicht nur ausdrücklich für ein Kammerorchester geschrieben (das lediglich durch einige Perkussionsinstrumente erweitert ist), er hat sich auch nachdrücklich für eine Aufführung in einem kleinen Saal eingesetzt. Diese Voraussetzungen also waren gegeben. Mehr noch: mit Julia Varady (Sopran) und Dietrich Fischer-Dieskau (Baß) waren zwei Künstler auf dem Podium, denen eine über alle Maßen bewundernswerte Aufführung gelang. Die Texte von Lorca, Brentano, Apollinaire, Küchelbecker und Rilke fanden bei ihnen nicht nur Sinn. Sie waren mit soviel Ernst und Engagement interpretiert, daß es einem schier die Sprache verschlug. Souverän wurden alle Klippen gemeistert: jene der Intonation, der Übereinstimmung hinsichtlich der Phrasierung wie der Dynamik. Und alles, was an rhythmischen Haken und Ösen in der Partitur steht, war hinreißend realisiert. Hier erwies sich David Shallon nicht nur als einfühlsamer und klangerfahrener Dirigent, sondern auch als Meister rhythmischer Präzision.

Baldur Bockhoff

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     Abendzeitung, München, 20./21. Oktober 1990     

   

Unerbittliche Todesqualen

Herkulessaal: Varady und Fischer-Dieskau

   

Programmatisches Neuland erschloß die Deutsche Kammerphilharmonie im Herkulessaal. Solisten: Julia Varady, Sopran, und Dietrich Fischer-Dieskau, Bariton. Leitung: David Shallon.

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Kompositorische Qualität und Intensität des Musizierens scheinen sich bei den jungen Musikern zu bedingen: In der Symphonie Nr. 14 von Schostakowitsch – eigentlich einem großen Liederzyklus für Sopran, Baß und Kammerorchester – ereignete sich dann große Interpretationskunst. Die Unerbittlichkeit des Todesschmerzes könnte nicht beklemmender dargestellt werden, wobei Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau in schaurig-bestürzender Weise die ganze Trostlosigkeit dieser Musik offenlegten. Gesangskunst von singulärem Rang.

Rüdiger Schwarz

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