Zum Liederabend am 3. Mai 1991 in Nürnberg


     Nürnberger Zeitung, 6. Mai 1991

Dieskau-Abend

Die Feine, die Reine

     

Vom wunderschönen Monat Mai, vom lustigen Waldesgrün, vom Sinnen und Träumen, von Flamm’ und Tod handeln die Lieder von Heinrich Heine, die Robert Schumann zu seinen Zyklen "Liederkreis" op. 24 und "Dichterliebe" op. 48 zusammenfügte. Sie wurden, zusammen mit drei weiteren Heine-Liedern von Schumann, im Nürnberger Opernhaus von Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll vorgetragen.

Die beiden Künstler müssen zusammen genannt werden. Es gibt Liederabende, die ausschließlich einem Sänger gehören und dem Pianisten eine Hintergrund-Aufgabe zuweisen, es gibt die Konzerte mit dem selbständig gestaltenden Begleiter, aber hier war die höchste Stufe erreicht, nämlich eine beglückende Einheit von Stimme und Instrument, der die Einheit von Komposition und Dichtung zugrundeliegt. Die Vermählung der Heineschen Poesie mit der Schumannschen fand in der poetischen Interpretation ihre Erfüllung. Der Begriff Begleiter trifft hier nicht mehr zu, das "Bin-ich-zu-laut"-Geschwätz wurde gegenstandslos. Dietrich Fischer-Dieskaus Stimme wurde wunderbar in den Klavierpart eingebettet, und Hartmut Höll sang sozusagen auf seinem Instrument mit (auch wenn er kontrastieren muß). Das vor allem drückte dem Liederabend, der in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft der Opern- und Konzertfreunde veranstaltet und auch für einen Film aufgezeichnet wurde, sein Qualitätssiegel auf.

Die beiden Liederzyklen sind von Liebe erfüllt und von Tragik durchtränkt, auch von Illusionen und ab und zu von bitterer Ironie. Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll wanderten gemeinsam durch die romantische Landschaft dieser Gefühle, sie freuten sich miteinander, waren miteinander wehmütig: "In den Liedern lernen sich die schönen Seelen erst kennen", schreibt Schumann in seinen Tagebüchern. Das Wort, auf Dichter und Komponist gemünzt, gilt genauso für die Interpreten, und es gilt in besonderem Maße für diese beiden Meister.

Daß Dietrich Fischer-Dieskau älter geworden ist, wirkt sich positiv aus. Die Sturm- und Drang-Jahre sind vorüber, die Zeit der Verinnerlichung ebenso, auch die des Manierismus; was mit den abgegriffenen Worten "Beseelung" und "Vergeistigung" nur unvollkommen beschrieben werden kann, beherrscht nun seinen Vortrag. Daß er mit seiner Stimme ökonomisch umgeht, schadet dem Ausdrucksreichtum nicht. Er hat sogar an Nuancen noch gewonnen, wie sich bei der meisterlichen Verändeurng von Vokalwerten zeigt ("Herz" in "Ich grolle nicht"), oder in der melodischen Umsetzung von Blüte und Eros in der Zeile "Die Lilie soll klingend hauchen".

Zu einem Meisterstück der Virtuosität wurde "Die Rose, die Lilie" in der "Dichterliebe": ein Parlando der Stimme und des Klaviers, ein zartes Vorüberrauschen – die Kleine, die Feine, die Reine – bis zum Schluß mit der kleinen Ritardando-Pointe "die Eine". Mit dem wegen des Tonartwechsels berühmten Nachspiel zum letzten Lied der "Dichterliebe" durfte Hartmut Höll an die Mischung aus Sarkasmus und Schmerz noch die unvergleichlich schöne Wendung ins Optimistische anfügen und hätte auch das letzte Wort bzw. den letzten Ton behalten, wenn dann nicht noch eine Reihe von Zugaben gefolgt wäre, die den großen Abend beschlossen.

br. breithaupt

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     Abendzeitung, Nürnberg 6. Mai 1991

Gefühle ohne Schwulst

Dietrich Fischer-Dieskaus Liederabend im Opernhaus

    

Seit über 40 Jahren ist Dietrich Fischer-Dieskau als Liedsänger ein Begriff und schon lange eine lebende Legende als Gestalter. Im Nürnberger Opernhaus gab er einen Abend mit Vertonungen von Heine-Gedichten durch Robert Schumann (am 9.5. steigt ein Schubert-Konzert).

Bei jedem Auftreten des 1925 geborenen Sängers erhebt sich die Frage: Wo liegt das Geheimnis das Dietrich Fischer-Dieskau den Ruf einbrachte, d e r Sänger unserer Zeit zu sein; Es liegt wohl daran, daß er geistige Vorgänge in einer Art musikalischen Rezitation lebendig macht. Da kann man seine Wortplastik allen jungen Sängern zur Nachahmung nur dringend empfehlen.

Bei hochromantischen Gesängen wie dem Liederkreis Op. 24 und "Dichterliebe" eliminiert er Schwulst und Sentimentalität, er gibt eine quasi moderne Deutung, die dennoch Gefühlsfülle und hintergründigen Humor aufklingen läßt. Solange seine Piani sich noch im normalen Hörbereich bewegen, sind sie von zarter Schönheit. Die Mittellage weist manchmal starkes jugendliches Flair auf.

In Hartmut Höll steht dem Sänger ein Begleiter zur Seite, der mitatmet und Atmosphäre zu geben weiß. Im Teamwork gelingt es den beiden, die geniale Größe Schumanns wie auch Heines aufzuzeigen.

M. S.

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     Erlanger Nachrichten, (EN), 6. Mai 1991

Lyrische Traumvisionen

Dietrich Fischer-Dieskau in Nürnberg umjubelt –

Die kongeniale Verwandtschaft zwischen Schumann und Heine

   

"Die alte Florestan-Eusebius-Teilung von Schumanns Seele, der schöpferische Zwiespalt, offenbart sich im Zusammentreffen mit Heine am eigenartigsten." So urteilt Dietrich Fischer-Dieskau als Schriftsteller über die Affinität zwischen dem Komponisten und dem Dichter.

Noch tiefere Beziehungen deckt der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau auf, wenn er Schumanns Heine-Lieder auf dem Podium interpretiert. Was er in seinem Buch ("Wort und Musik", 1981) über Schumann verbal postuliert, realisiert er als gesungenes Ereignis: "jenen Heine verwandten, zerquälten, oft ins Pathologische verzerrten Ausdruck".

Das Fischer-Dieskau-Recital im Nürnberger Opernhaus beschränkte sich konsequent auf Heine-Vertonungen Schumanns und dabei offenbarte sich nicht nur eine poetisch-romantische Liederwelt, sondern ein ganzes Jahrhundert in seiner Lyrik. In einem Zyklus wie "Dichterliebe" werden menschliches Suchen und Ringen, Hoffen und Verzweifeln, Bitterkeit und Resignation exemplarisch lebendig.

Intellektuelle Faszination

Der reife Wortgestalter Fischer-Dieskau, der am 28. Mai 66 wird, hat nie mit der Stimme allein gesungen; deshalb können ihm auch die Jahrzehnte (fast) nichts anhaben. Mit stupender Technik beherrscht er das vokale Instrument virtuoser denn je. Die Nuancierung des Ausdrucks schafft noch immer neue Perspektiven; die intellektuelle Faszination ist gefühls-vital wie stets.

Da zelebriert kein Kehlkopfstar kulinarische Delikatessen, hier teilt sich eine starke Persönlichkeit mit, vergegenwärtigt Kunst-Zeugnisse der Vergangenheit so unmittelbar, daß sie uns existentiell berühren. Die intime Geschichte eines Liedes, eine Miniatur von wenigen Minuten, wird zum spannenden Drama. Fischer-Dieskau braucht für die Dramatik kein Opernpathos (wie andere), aber seine großen Bühnencharaktere fließen mit ein: vom Sachs bis zum Lear, vom Figaro-Grafen bis zum Falstaff, vom Giovanni bis zum Mandryka.

Überzeugend läßt sich die hohe Kunst dieses singenden Musikers am Detail nachweisen: Wie die Sprache als Gedankenbau und als Emotionsgefäß lebendig wird, was die Musik als Sprache hinter der Sprache zu sagen hat. Wie er mit dem Akzent einer Silbenbetonung, mit dem Schattieren der Klangfarben Hintergründe aufreißt, Tiefblicke öffnet.

Das Singen verschmilzt mit dem Spiel am Klavier zur absoluten Einheit. Hartmut Höll, seit 1982 Partner Fischer-Dieskaus, stellt sich auf den Stil des Sängers ein, ohne sich unterzuordnen. Bei der innigen Zwiesprache gibt jeder dem anderen Impulse, Höll dringt dabei ebenso tief in Schumanns zwielichtige Welt ein.

Selbst wenn einem dieses Jahrhundert-Phänomen (durch die Schallplatte) ständig präsent ist, macht es doch jedesmal spontan betroffen. Immer wieder erhellen neue Lichter geistige Zusammenhänge, rütteln die Leidenschaften auf wie am ersten Tag. Da beeindruckt die Todesnähe in "Schöne Wiege meiner Leiden" (Liederkreis op. 24) ebenso wie der Humor ("Mein Wagen rollet langsam"), da kommen Trotz und Einsamkeit ("Ich grolle nicht") bestürzend über die Rampe.

Intensität der leisen Töne

Trauer, Wehmut und Resignation ziehen sich durch alle 16 Gesänge der "Dichterliebe": schmerzlicher Rückblick auf ein Leben. Der Sänger und der Pianist gestalten den Zyklus traumhaft visionär mit einer Ekstase im vehementen Ausbruch, mit einer Intensität der leisen Töne, die nur live im Konzertsaal so atmosphärisch dicht zu erleben sind.

Das Gebanntsein der Zuhörer lockert sich erst in einer Reihe von Zugaben, die für frenetischen Jubel danken. Dazu Bravos und Blumen im vollen Opernhaus.

Fischer-Dieskaus zweiter Nürnberger Liederabend am 9. Mai (Himmelfahrt) um 19 Uhr im Opernhaus ist dem Komponisten Franz Schubert gewidmet. Ein französisches Filmteam zeichnet beide Konzerte auf. Das Ereignis ist es wohl wert, dokumentarisch festgehalten zu werden.

Fritz Schleicher

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