Zur Liedmatinee am 16. Juni 1991 in Düsseldorf


Rheinische Post, Düsseldorf, 17. Juni 1991

Schumannfest: Konzerte in Tonhalle und Oper

Der Sieg des Sängers

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Der frühe Schumann ist uns vertrauter – als wunderbarer, über jeden Zweifel erhabener Klavier- und Liedkomponist. So war Dietrich Fischer-Dieskaus Liedmatinee gestern im Opernhaus Begegnung mit guten Bekannten: dem Liederkreis op. 24 und der "Dichterliebe" op. 48. Schumann und Heine also - dies paßte bestens unters Motto dieser Tage: "Schumann und die Dichter".

Fischer-Dieskau ist selbst ein solcher Dichter; einer, der sich fremde Kunst anverwandelt und seiner Schöpferkraft unterwirft; einer, der nicht Diener, sondern Beherrscher ist. Jedes Lied hebt er zum Monodram empor. Worte brechen, verschleiern, raunen mit halber, indirekter Stimme; dann wieder posaunen sie, schmettern darein. Sie dürfen knirschen und verwehen, kurz: Sie sind nicht sie selbst und ins Lied gebunden, sondern Material. Manchmal will es dann scheinen, als trete Fischer-Dieskau nicht hinter Schumann, sondern neben und sogar vor ihn.

Und manchmal verflüchtigen sich dann auch Magie und Intimität des Lieds in der Meisterschaft der Gesangstechnik. Zweifellos besitzt der Bariton trotz gereifter Stimme immer noch wie kein anderer die Gabe, den Zuhörer auf Dinge zu stoßen, von denen er unter Eid aussagen möchte, er habe sie so noch nie gehört (etwa in "Ich wandelte unter den Bäumen" oder "Wenn ich in deine Augen seh"). Auch der glänzende Pianist Hartmut Höll stellte seine Diskretion ganz in den Dienst dessen, was Fischer-Dieskau aus dem Text herauslas. Aber in diesen Lese-Deutungen gewann unweigerlich der Sänger und verlor der Komponist.

Hinterher gab es Ovationen eines zur Verschwiegenheit bereiten Publikums und viele Zugaben.

Wolfram Goertz


   

     Westdeutsche Zeitung, Düsseldorf, 17. Juni 1991     

Dichterliebe: Die alte Glut belebt sich neu

Dietrich Fischer-Dieskau sang Robert Schumanns Heine-Lieder in einer Opern-Matinee

   

Zwar hat seine Stimme einiges vom Glanz seiner frühen Jahre verloren, doch seine Interpretationskunst ist ungebrochen. Dietrich Fischer-Dieskau, immer noch der eindrucksvollste Liedersänger deutsche Zunge, stellte sich im Rahmen des Schumann Festes mit einer reinen Schumann/Heine-Lieder-Matinee in der Rheinoper vor.

Fischer-Dieskaus Beziehung zu Robert Schumann war schon immer sehr intensiv. Er sang nicht nur so gut wie alle seine Lieder, er schrieb über Schumanns Vokalwerk auch Bücher. Seine Auseinandersetzung mit den Texten spielt gerade bei den Schumann-Liedern eine besondere Rolle. Da wird die Wechselbeziehung zwischen Wort und Musik eindrucksvoll offengelegt. Die ausgefeilte Gesangstechnik bleibt dabei den Nuancen einer streng kontrollierten Deklamation untergeordnet. Dabei wirken zwar Fischer-Dieskaus Gesten – vor, nach und während der Lieder – ab und zu doch etwas überzogen und manieriert. Doch dieses äußerliche Versenken, Aufwachen und erregte Nachzucken stört nur wenig. Bei Fischer-Dieskau trägt das Wort. Romantische Stimmungen kann er, noch dazu, wenn er einen so feinsinnigen Begleiter wie Hartmut Höll hat, wunderschön ausspinnen.

In Heines drei Liedern führt er schon zum Auftakt die Spannweite seiner Ausdruckskraft beim "Kichern und Huschen der Gesichter" sowie bei der Schilderung von "Sturm und Schiffbruch" nachdrücklich vor. In Schumanns "Liederkreis op. 24" entfaltete er schöne Pianissimokünste, wenn er von den "goldenen Worten der Vögelein" singt, prunkt mit Enthusiasmus bei der Schilderung der "schönen Stadt", trifft die tragische Geste für das "Daß ich so elend bin" und macht deutlich, wie "die alte Glut sich neu belebt".

Den "Liederkreis" sang er schon 1956 mit Hertha Klust am Flügel für die Schallplatte, damals vokal unnachahmlich schön. Heute hat das Wort mehr Gewicht. Das gilt auch für die "Dichterliebe op. 48", deren Liebeswonnen er froh und frisch, deren Landschaftsbilder, deren zarten Vogelgesang und deftiges Klingen und Dröhnen er intensiv nachzeichnet.

Und wenn er ganz traurig bekennt "Ich hab im Traum geweinet", dann glaubt man ihm das. Zu den Gesängen liefert Hartmut Höll Ton um Ton ausgelotete Vor- und Nachspiele, und nach dem schmerzlichen Schluß ein nachdenkliches Klavierfinale. Der Beifall in der dichtbesetzten Oper war groß. Fischer-Dieskau und Höll hatten die Matinee der Erinnerung an Claudio Arrau gewidmet.

Emil Fischer


   

     Neue Rheinzeitung, Düsseldorf, 4. Mai 1992

Fischer-Dieskau

Bravo für zwei Meister

   

Standing ovations, bereitwillige Zugaben, ein vom Liedgesang tief angerührtes und begeistertes Publikum im Opernhaus: So erlebte die "Schumann-Gemeinde" die Matinee mit "dem" Liedsänger Dietrich Fischer-Dieskau und mit seinem kongenialen Klavierbegleiter Hartmut Höll (statt wie geplant, Vladimir Ashkenazy).

Bis zuletzt hatten die Schumannianer gebangt, ob der Meister wegen einer Unpäßlichkeit (er mußte den Meisterkurs abbrechen) singen könne. Doch er kam und zog sie alle - wie in frühen Jahren in seinen Bann. Schumanns Heine-Vertonungen (u. a. Liederkreis op. 24 und Dichterliebe op. 48) bildeten nicht nur musikalisch eine wundervolle Einheit, sondern sind auch in ihrem zerbrechlichen Liebesschmerz eine grandiose literarische Leistung.

Wie fertige Inszenierungen wirken die Zyklen vor allem bei Dieskau/Höll. Sie nehmen den Atem, lassen keine Denk- oder Klatschpausen, sind Bausteine eines großen Melodrams. Dieskau wird dabei ganz zum singenden Schauspieler, und Höll - den er neben Ashkenazy von der jüngeren Pianistengeneration bevorzugt - ist ein meisterlicher "Statist", der jede Regung musikalisch nachvollzieht.

Faszination

Unvergeßlich im makellosen Gesamteindruck so manche Lautmalerei Dieskaus in "Die Rose, die Lilie", in "Abends am Strand" oder "Ich grolle nicht".

Von Schumanns "Dichterliebe" blieb der geschlossenste Eindruck. Wenn Dieskau je Manieriertheit und überzogene Deklamation vorgeworfen wurde, so mag das die Sechziger Jahre betreffen. Der reife Dieskau (er ist jetzt 66 Jahre) ist unvergleichlich milder und souveräner geworden. Die Faszination ist geblieben, und stimmlich zeigt er warme Mittellagen, strahlende Höhen und ein unnachahmliches, ätherisches Pianissimo.

Antje Olivier

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