Zum Liederabend am 10. August 1992 in Salzburg


    

     Salzburger Nachrichten, 12. August 1992     

Heine und Schumann:
Des lebenserfahrenen Dichters Liebe

Dietrich Fischer-Dieskaus zweiter Festspiel-Liederabend im Großen Saal des Mozarteums

     

Es muß eine große Belastung sein für Dietrich Fischer-Dieskau, wenn er jetzt Dinge singt, mit denen er vor 35 Jahren am selben Ort seinen Ruhm als Liedgestalter festigte. Die Festspiele haben in ihre neue CD-Reihe mit historischen Aufnahmen auch den Konzert-Mitschnitt von Fischer-Dieskaus erstem Festspiel-Liederabend aufgenommen: Damals, 1956, sang er unter anderem Schumanns "Dichterliebe". Am Montag hat er sie wieder gesungen. Übrigens – auch das ist auf der historischen Aufnahme festgehalten – war damals "Du bist wie eine Blume" die erste Zugabe. Genauso wie jetzt.

Der Abend war in mancherlei Hinsicht geeignet, melancholische Stimmung hervorzurufen. Wenn die drei Liederabende Dietrich Fischer-Dieskaus seinen (endgültigen?) Abschied vom sommerlichen Salzburger Podium bedeuten – wo ist dann ein Sänger, der die künstlerische Aufrichtigkeit und die gestalterische Kompetenz hat, einen Abend ausschließlich Schumann und Heine zu widmen? Es genügt ein Blick (gerade heuer!) auf die bunten Programme der jüngeren Kolleginnen und Kollegen, um diesen Verlust abschätzen zu können. Der "Dichterliebe" wird Dietrich Fischer-Dieskau nach wie vor in Maßstäbe setzender Weise gerecht.

Die durchaus nicht weinerliche, eher lebensweise, wenn auch resignative Stimmung dieses Zyklus kann er jetzt, kann er gerade jetzt sehr glaubhaft und in den ernsthaften wie den gelösten Untertönen berührend vermitteln. Niemand verlangt von einem Gestalter der "Dichterliebe", daß er sich als ein junger Galan einführe. Fischer-Dieskaus Durchdringung dichterischer Anspielungen (spezifische Heinesche Ironie kommt da durchaus zu ihrem Recht) ist gekennzeichnet von Deckungsgleichheit zwischen Gefühl und Intellekt. Die drei fein abgestuften Begründungen, warum er "im Traum geweinet" habe, macht dem Sänger so subtil auch jetzt noch kein anderer nach.

Wieder war es am Pianisten Hartmut Höll, Fischer-Dieskaus Interpretation zu überhöhen – was ganz wichtig in diesem Zyklus ist, wo den Nachspielen allgemein und dem Klavier-Epilog überhaupt so große Bedeutung zukommt. Zurück zum dreimaligen Weinen im Traum: In solchen gestalterisch-eindringlichen Momenten verfügt Höll immer auch über die entsprechenden Farben am Klavier.

Vor der Pause hatte Hartmut Höll das Sagen – weil Fischer-Dieskau da wirklich fast nur noch das Sagen, nicht mehr das Singen hatte. Die Chronistenpflicht verbietet, das zu verschweigen, auch nach der wundersam in sich gerundeten "Dichterliebe". Für den im Ausdruck so heiklen, weil dichterisch wie von der Komposition her überzeichneten Heineschen "Liederkreis", op. 24, hat Fischer-Dieskaus Stimme nicht mehr die nötige Wendigkeit; es ist ihm hier nicht mehr möglich, zwischen aufrichtigen Gefühlen und latent mitschwingender Ironie, zwischen romantischer Übertreibung von Liebes-Erwartung und Liebes-Frust zu vermitteln. Der Sänger mag das gespürt haben, die (leider nur zu berechtigte) Nervosität äußerte sich dann in Fahrigkeit insgesamt, in Nervosität und erheblichen Textungenauigkeiten. Selbst in einer vergleichsweise schlichten Vertonung wie "Schöne Wiege meiner Leiden" flüchtete Fischer-Dieskau ins maßlose Überzeichnen, in der allzu wahren Erkenntnis, daß auf dieser Ebene alle stimmlichen Ressourcen verbraucht sind.

Reinhard Kriechbaum

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     Kurier, Wien, 12. August 1992     

Salzburg: Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau

Das Geschenk großer Kunst

    

Wenn über einen Künstler geschrieben wird, er wäre immer noch gut, obwohl er schon so alt sei, lobt und liebt man ihn für seine Vergangenheit. Dietrich Fischer-Dieskau kann man immer noch und ohne Abstriche für seine Gegenwart loben und lieben. Er ist, was seine Gesangskunst anbelangt, immer noch der alte.

Man zögert, diese seine Kunst noch in Worte fassen zu wollen. Es scheint alles schon gesagt und geschrieben zu sein. Wie deutlich seine Artikulation ist, wie intensiv seine Gestaltung (mit jenem kleinen Rest Distanz, der große Kunst noch um einiges größer macht), wie herrlich seine Stimme.

Er ist "der Lied", wie eine Französin in der Pause voller Bewunderung formulierte.

Man braucht ihn nicht zu vergleichen. Man braucht nicht zu sagen, er artikuliere besser als, seine Stimme sei schöner als, sein Vortrag nuancenreicher als. Man braucht eigentlich nur seinen Namen zu nennen, und jeder weiß, wer und was und wie es gemeint ist.

Am Montag sang er im Salzburger Mozarteum Lieder von Robert Schumann nach Gedichten von Heinrich Heine.

Und man wurde nicht müde zu staunen, zu genießen, sich zu erfreuen. Wie er in diese Lieder eintaucht, sie sich ganz zu eigen gemacht hat, sie wiedergibt, als wären sie ein Stück von ihm. Wären? Sie sind ein Stück von ihm. Das er seinem Publikum, je älter er wird, immer noch klarer, noch schlichter, noch eindeutiger, noch liebevoller schenkt.

Eine Freude war es auch, Hartmut Höll am Klavier zuzuhören, der mehr als ein umsichtiger Begleiter ist, der Fischer-Dieskaus Gesang umspielt, mit ihm in einen aufregenden Dialog tritt, ganz eigenständig und doch nicht aufdringlich.

Werner Schuster

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     Kronenzeitung, Wien, 12. August 1992     

SALZBURGER FESTSPIELE, Mozarteum:

   

"Liedpapst" ist für ihn ein nicht gerade glücklich gewählter Ausdruck. Denn als letzte Autorität in Sachen Liedgesang dürfte Dietrich Fischer-Dieskau unumstrittener sein als jeder Papst in Glaubensdingen. Fischer-Dieskau sang Robert Schumann: "Ich grolle nicht"! Nicht forsch, eher resignierend klingt das Heine-Gedicht aus der "Dichterliebe" diesmal. Auch Klavierpartner Hartmut Höll agierte zurückhaltender als gewohnt: "Im Rhein, im heiligen Strome", das hört sich bei Höll nach Bächlein an. Und die Stimme des 67jährigen Baritons? Sie ist erstaunlich geschmeidig. Seine Phrasierungskunst ist über alle Zweifel erhaben. Und faszinierend, wie er etwa Heines Sarkasmus vermittelt! "Ei, mein Lieb, warum just heute schauderst du, mein Blut zu sehn?" Der spöttische Ausdruck in Mimik und Stimme spricht Bände.

WO

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     Süddeutsche Zeitung, München, 13. August 1992     

Salzburger Festspiele

Weit ausgemalte Seelenwelten

Anatol Ugorskis beeindruckendes Debüt, 
Fischer-Dieskaus Schumann-Abend

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Innerlichkeit und ihre künstlerische Vermittlung, das ist seit mehr als vier Salzburger Festspieljahrzehnten eine spezielle Domäne von Dietrich Fischer-Dieskau, der in diesem Jahr drei Liederabende im Mozarteum gibt, Schubert, Schumann und Hugo Wolf gewidmet. Da erwartet ein wie immer enthusiastisch reagierendes Publikum natürlich nicht mehr so sehr völlig neue Einsichten, sondern die Bestätigung von Fischer-Dieskaus Stil und Meisterschaft, die vom Alter ja beglückend unberührt geblieben ist.

Geistige Erfüllung, äußerste gegenseitige Durchdringung von Text und Musik, minutiöse Gestaltung selbst der kleinsten Artikulationsdetails, das sind Konstanten in Fischer-Dieskaus Kunst auch dann, wenn die stimmliche Tagesform einmal nicht ganz so glänzend ist. Denn leider wirkte zumindest im ersten Teil des Schumann-Abends das Forte noch etwas forciert, stellte sich erst allmählich der gewohnte Zauber ein.

Gleichviel: wichtiger als solche Imponderabilien ist ja zweifelsohne Fischer-Dieskaus musikalischer Erzählstil. Wie er da im Liederkreis op. 24 und in der "Dichterliebe" zwischen schwärmerischer Erregtheit und balsamischen Entsagungstönen, mächtigem Pathos und artifizieller Schlichtheit, Grimm, Larmoyanz und ungezählten weiteren Seelentönen changiert, das deckt schon ein ungeheures Spektrum von Ausdrucksmöglichkeiten ab, das macht bisweilen aus einer einzigen Strophe ein gewichtiges Drama en miniature.

Höchstes, kultiviertestes Künstlertum ist das gewiß – und doch des Guten, des ausdeutenden Erklärens mitunter fast zuviel. Denn Heinrich Heines Texte sind ja in einem schwer zu fassenden Zwischenbereich von Innigkeit und Ironisierung, von Gefühl und Selbstdistanzierung angelegt, dem man sich gar nicht behutsam genug nähern kann. Fischer-Dieskau hingegen wählt den Weg der Überdeutlichkeit, des gestisch-mimischen Verdoppelns der Aussage, und wird beispielsweise bei dem Wort "Perlentränentröpfchen" dermaßen neckisch und auf joviale Art schelmsich, als müsse er die Hörer von den Valeurs dieses Wortes zwangsweise überzeugen.

Dabei ist Fischer-Dieskau immer dann am größten, wenn er nicht jedes poetische Geheimnis gleich selbst erklärt, sondern wissend der Entdeckung durch den Hörer zuführt: "Die alten bösen Lieder" beispielsweise oder die zugegebene "Lotosblume" zeigten Fischer-Dieskau auf der Höhe seiner nachschöpferischen Sensibilität, weil er mit Nachdruck, doch nicht mit Überdruck verfuhr. Sensibel wie gewohnt war auch Hartmut Höll als Begleiter – als pianistischer Widerpart hingegen blieb er diesmal für Schumanns Phantastik fast zu dezent.

Klaus Bennert

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