Allüren und Diven haben keine ChanceDie Sopranistin Julia Varady unterrichtet an der Musikhochschule "Hanns Eisler"Von Almut Lüder
Sie stehen im Rampenlicht. Im Konzertsaal. Vor der Kamera. Im Atelier. Sie sind Meister ihres Fachs - und geben ihr Wissen an den Berliner Hochschulen weiter. In loser Folge stellen wir berühmte Dozenten der Stadt vor. Heute: Julia Varady. Die Stimme muss auf der Bühne klingen, schwingen und letztlich den Zuhörer beschwingen. Ein hohes Ziel und ein dorniger Weg bis dahin. Das weiß Julia Varady nur zu genau. Mailand, New York, Wien, München, Paris - auf vielen wichtigen Operbühnen gastierte sie. 40 Jahre praktische Erfahrung bringt die berühmte Sopranistin ihren Studenten an der Hanns-Eisler-Musikhochschule mit. Davon zehren die begabten Nachwuchskünstler für den Aufbau ihrer eigenen Karriere. "Den Zuhörer interessiert es nicht, ob der Sänger erkältet ist, Jetlag oder Eheprobleme hat", sagt die Sängerin mit dem breit gefächerten Opern- und Lied-Repertoire von Wagner bis Strauss, von Mozart bis Verdi. Er fordert Höchstleistung. Mit einer ausgefeilten Technik muss sich der Sänger gegen alle inneren und äußeren Unbilden wappnen. Kaum einer ist lehrreicher und gesünder als Mozart. Ihre Studentin probt heute ausnahmsweise in Varadys Privathaus. Auf dem Plan steht die dramatische Arie der Fiordiligi "Come scoglio immoto resta" aus der Oper "Cosi fan tutte". Mit der Partie hat Varady einst selbst debütiert. Rasante Koloraturen und gewaltige Intervallsprünge schreibt der Komponist der Sängerin vor - Kopfstimme, Bruststimme, Bruststimme, Kopfstimme. Eine Achterbahn durch die Skalen. Spielbein, Standbein, die Studentin nimmt ihren Arm zur Hilfe und spannt ihn über ihren Kopf. Wie von einem Band gezogen, hangelt sie sich in die hohen Lagen empor. "Du führst die Stimme, nicht die Stimme dich. Nicht zu breit werden, sonst kann man nichts machen. Sei nicht so großzügig mit dir", animiert Varady sie. Dann fasst sie nach der Hand der Studentin und lässt sie ihre Bauchmuskeln fühlen. Sie soll wissen, welche Partien bei welchem Takt wie angespannt sein müssen, um sauber zu intonieren. Schön leicht und locker soll es sich anhören. Als wäre es ein Kinderspiel. Das ist die große Kunst. Julia Varady ist eine strenge Lehrerin. Sie ist davon durchdrungen, dass es auch so sein muss. Schließlich ist sie als junges Mädchen in Rumänien durch den Drill eines sozialistischen Landes gegangen. Ähnlich wie die berühmten Turnerinnen auf dem Schwebebalken. Eine Solokarriere verlangt ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Entbehrung. Das Instrument, die Stimme, muss ständig gepflegt und geschützt werden. Julia Varady hat als Studentin am eigenen Leibe erfahren, was in einer Ausbildung schief laufen kann. Nachdem sie von der Geige auf den Gesang umsattelte, galt sie zunächst als Altistin. Bis die Lehrerin eines Tages ihren Tonumfang testete. Varady glitt nicht nur zum Mezzo-Fis, sondern bis zum dreigestrichenen d vor. Julia Varady wechselte ins Sopranfach. Sie weiß, dass solche Irrwege in der Ausbildung auch heute nicht ausgeschlossen sind. Die Dozentin hat stets vor Augen, dass die internationale Konkurrenz stark ist. Wer diesen schönen Beruf ergreifen und eine Chance haben will, muss hart an sich arbeiten. Mimosen kann Julia Varady im Unterricht nicht ertragen. Sie möchte ohne Umschweife sagen können, was Sache ist. Nur so lasse sich arbeiten. "Die Schüler müssen sicher sein, dass ich sie trotz ihrer Fehler liebe", flicht die Pädagogin ein. Sie erwarte Respekt vor ihrer 40-jährigen Bühnenerfahrung. Allüren und Diven sind ihr zuwider. Julia Varady stellt immer noch ein Ost-West-Gefälle fest. In der Mentalität der Menschen, aber auch lokal in Berlin. "Mir liegt der Osten mehr", urteilt die temperamentvolle Dozentin, die im einstigen Westteil der Stadt lebt. Die Schüler aus der ehemaligen DDR und den früheren Ostblockstaaten seien flexibler und anpassungsfähiger. Bevor Julia Varady 1998 an die Eisler-Hochschule kam, wurden schon mehrmals Angebote von anderen Hochschulen an sie herangetragen. Sie hatte sie stets abgelehnt. Bühne und Hochschule zugleich, verboten sich aus ihrer Sicht. Als sie schließlich Ende der Neunziger den Ruf an die Hanns-Eisler erhielt, sah sie den richtigen Zeitpunkt für das Ende ihrer Bühnenkarriere gekommen. Das heiße nicht, dass die heute 64-Jährige nicht mehr im Besitz ihrer sängerischen Qualitäten sei: "Wenn mir jemand sagt, du musst die oder die Oper singen - kein Problem, weil ich das ständig mache. Aber ich will es nicht mehr auf der Bühne tun." Darin sei sie sich mit ihrem Mann, dem berühmten Dietrich Fischer-Dieskau, einig: Eine Grundvoraussetzung fürs Unterrichten ist das Vormachen. Wenn das eines Tages nicht mehr funktionieren sollte, will sie ihre Karriere als Dozentin beenden. Aus der Berliner Morgenpost vom 8. August 2006 |