Praemium Imperiale für Fischer-Dieskau

«Dieser Preis ist eine große Ehre. Er zeigt mir selbst, dass ich noch da bin. Schließlich habe ich seit 1992 nicht mehr auf der Opern- oder Konzertbühne gestanden», sagt Dietrich Fischer-Dieskau. Der bedeutende Berliner Sänger bekommt für sein Lebenswerk den «Praemium Imperiale» der Japan Art Association. Mit 15 Millionen Yen (ca. 129 000 Euro) ist er der weltweit am höchsten dotierte Kunstpreis. Er wird am 23. Oktober von Prinz Hitachi an Sigmar Polke (Malerei), Giuliano Vangi (Skulptur), Norman Foster (Architektur) und Jean-Luc Godard (Theater/Film) verliehen. Fischer-Dieskau kann den Preis in Tokyo nicht persönlich entgegennehmen. «Ich darf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so weit fliegen. Dabei bin ich den Japanern besonders eng verbunden», sagt der 77-Jährige. Zwischen 1963 und 1991 hat Fischer-Dieskau mindestens einmal im Jahr in Japan gesungen.

Der aktive Künstler ist weiterhin als Dirigent, Maler, Autor und Pädagoge tätig. Im November erscheint im Berliner Henschel-Verlag seine Hugo-Wolf-Biografie. Jetzt arbeitet er an einem Buch über Goethe.

«Ich habe Fischer-Dieskau schon in den Vierzigerjahren in Verdis ¸Don Carlos´ gehört - und seitdem immer wieder», erzählt Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker der Berliner Morgenpost. Als Mitglied des internationalen Beraterkommitees der Japan Art Association hat er den Sänger für den Preis vorgeschagen. «Einen Nobelpreis gibt es im künstlerischen Bereich nur für die Literatur. Deshalb ist dieser große Kunstpreis von so immenser Bedeutung», so der Politiker.

-mig 2002 © Berliner Morgenpost 18.09.2002

 

Im Land der aufgehenden Ohren

Dank an Japan: eine Begegnung mit dem Praemium-Imperiale-Preisträger Dietrich Fischer-Dieskau

Höher hinauf geht’s nicht, selbst für einen, der Zeit seines Künstlerlebens ganz oben stand: Am Dienstagabend wurde Dietrich Fischer-Dieskau, der kultisch verehrte Lied-Interpret, der vielseitige Opernstar, der berühmteste Bariton des 20. Jahrhunderts, von Richard von Weizsäcker zum diesjährigen Preisträger des „Praemium Imperiale“ in der Sparte Musik ausgerufen. Jährlich fünf Mal 129 000 Euro für fünf Auserwählte hängen an der von der Japan Art Association gestifteten Prämie und machen ihn damit zur höchst dotierten Kultur-Auszeichnung weltweit, zum „Nobelpreis der Kunst“.

Das kann selbst einem Meistersinger die Sprache verschlagen: Nein, ein Freudenliedchen habe er nicht geträllert, als er von seiner Nominierung erfuhr, erzählt ein völlig gelöst wirkender, wie von innen heraus strahlender Fischer-Dieskau beim Gespräch im Wintergarten des Hotel „Adlon“ kurz vor der Feierstunde. Es sei ein Gefühl zwischen Beklommenheit und Glückseligkeit gewesen. Mehr noch als die anderen Preisträger des Jahres 2002 – Sigmar Polke im Bereich der Malerei, Giuliano Vangi (Skulptur), Norman Foster (Architektur) und Jean-Luc Godard (Theater/Film) und das European Union Youth Orchestra (Förderpreis) – verbindet Dietrich Fischer-Dieskau eine intensive Beziehung mit dem Land, aus dem der Preis kam: 1963 trat er zum ersten Mal in Japan auf, bei einem Gastspiel der Deutschen Oper Berlin. Wenn der Sänger davon spricht, er sei „eine Zeit lang“ sogar „fast so etwas wie eine Kultfigur“ auf der fernöstlichen Insel gewesen, untertreibt Dietrich Fischer-Dieskau in der ihm eigenen zurückhaltenden Art. Die Begeisterung, die er damals mit seinem Gesang auslöste, hält bis heute an.

Eine Zuneigung übrigens, die stets auf Gegenseitigkeit beruhte: „Die Japaner sind in der Lage, die momentane Situation der Musik besonders intensiv zu erfassen und mitzuerleben. Und wenn ein Künstler es vermag, dieses Miterleben hervorzurufen, verehren sie ihn ganz besonders. Das habe ich fast 40 Jahre lang genossen“, erklärt er und beginnt zu schwärmen vom Publikum zwischen Tokio und Fukuoka. „Jede kleinste Regung in der Musik wird dort wahrgenommen – und zwar im voraus. Man spürt als Vortragender ganz deutlich, wie die Leute auf diese und jene Wendung schon warten. So erlebt man das weder bei einem amerikanischen noch beim europäischen Publikum.“ Und auch das gefällt dem erfahrenen Bühnenkünstler in Japan: „Auf die Lautstärke des Applauses legen die Leute dort keinen so großen Wert. Auch fürs Bravorufen sind sie nicht zu haben. Sie hören lieber intensiv zu, klatschen kurz und entlassen den Künstler dann nach Hause. Ich finde das wunderbar.“

Bevor sich Dietrich Fischer-Dieskau zur offiziellen Bekanntgabe der Praemium-Imperiale-Gewinner in den Bankettsaal des Adlon begibt (die Medaillen verleiht dann am 23. Oktober der jüngere Kaiserbruder Hitachi in Tokio), verrät der umtriebige 77-Jährige noch ein paar Zukunftspläne: Neben seiner Tätigkeit als Gesangspädagoge und neben seinen Rezitationen tritt er auch wieder als Dirigent auf, beispielsweise Mitte Dezember mit dem Berliner Sinfonie-Orchester im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

Im November kommt sein neues Buch im Henschel-Verlag heraus, eine 600 Seiten starke Biografie über Hugo Wolf. Und dann ist da das Goethe-Projekt, für das Fischer-Dieskau noch einen mutigen Verleger sucht. Er, der so vielseitig begabte Sänger, möchte einem Seelenverwandten auf bekanntem Terrain begegnen und die Rolle des ebenfalls multitalentierten Dichterfürsten als Opernintendant und Theaterleiter untersuchen.

Frederik Hanssen 2002 © Verlag Der Tagesspiegel GmbH

 

Gutes Essen in bester Gesellschaft

Meine Geschichten - Von Klaus Geitel

Chawan Moshi! Das heißt auf Japanisch nicht etwa Guten Abend. Es bezeichnet im Rahmen eines reichen, exotisch eingefärbten Menus nur den Namen der Suppe, die im Hotel Adlon den über zweihundert Gästen kredenzt wurde, die auf Einladung Richard von Weizsäckers zusammengekommen waren, der Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger des japanischen Praemium Imperiale festlich beizuwohnen. Wer isst nicht gerne gut, in allerbester Gesellschaft und noch dazu aus durchweg rühmlichem Anlass?

Der Praemium Imperiale, mit 128 000 Euro nicht zu knapp dotiert, ist sozusagen der Nobelpreis für die in Stockholm regelmäßig zu kurz kommenden Künste. Die Japan Art Association hat ihn ausgelobt und vergibt ihn seit über zwölf Jahren in den fünf Sparten Skulptur, Malerei, Architektur, Musik sowie Film respektive Theater. Sie stützt sich bei ihrer Wahl auf Expertenkommissionen in sechs Ländern, denen jeweils eine Denkmalsfigur des öffentlichen und nach Möglichkeit auch des geistigen Lebens vorsteht.Beides geht ja nicht immer verlässlich zusammen. Doch gerade Richard von Weizsäcker ist ein derart vielseitig interessierter, allseits respektierter Wundermann. Kampai!

Weizsäcker holte zwei der fünf Preise nach Deutschland. Sie gingen an Sigmar Polke, den Maler, und an Dietrich Fischer-Dieskau, den Sänger. Karlheinz Stockhausen, an meinem Adlon-Tisch, ging diesmal noch leer aus, machte aber immerhin freundliche Miene zum philharmonischen Einstimmungs-Spiel. Zumal Tochter Mariella am Klavier saß, das böse Ding. Sie spielte ausgerechnet in Henzes «Aria de la folia espanola» mit. Schlimmer noch: Henze hatte den Monumental-Preis im vergangenen Jahr aus der Hand des Prinzen Hitachi, des Kaiser-Bruders, in Tokio einkassiert.

Diesmal also ging der Musikpreis nach Berlin: an Fischer-Dieskau, diesen unermüdlichen Hans Volldampf in allen Gassen der Kunst, schreibend, malend, rezitierend, dozierend; Lehrherr nun schon zweier Generationen, dahinsprudelnd von Meisterklassen zu Meisterkursen in allen Ländern der Welt. An seiner eminenten Kunst haben sich seit jeher die Geister geschieden; vor allem die Kleingeister. Kubota Manyu!

Das ist nichts als ein Schlückchen Sake. Ich erlaubte mir, es auf das Wohl Fischer-Dieskaus zu trinken. Er versteht sich schließlich auf Japan wie kaum ein anderer deutscher Sänger. Schon vor über dreißig Jahren hatte er mir in seinem Hotelzimmer im Teikoku Hoturu, dem alten Hotel Imperial, dessen von Frank Lloyd Wright errichteten denkmalswürdig aztekischen Trakt man inzwischen dem Erdboden gleichgemacht hat (hoffentlich ergeht es dem heutigen Preisträger Norman Foster später in Japan nicht ebenso), demonstrativ den Stil des No-Singens im Unterschied zum Kabuki-Singsang vor dem Mikrofon vorgeführt. Fischer-Dieskau war stets ein feuriger Ausforscher aller erdenklicher künstlerischer Möglichkeiten im interpretatorischen Selbstversuch. Er hielt sein einzigartiges Können immer mit der Peitsche der Neugier in Trab. Junmai Daiginjoshu!

Noch ein Sake. Nur die Nigiri Sushi vermochte ich noch mit Aufmerksamkeit zu verspeisen. Dann fesselte mich wieder der Film, in dem nicht die anwesenden Botschafter Frankreichs, Englands und Italiens ihre Preisträger zu sehen bekamen, sondern wir alle erstmals oder erneut Bekanntschaft mit ihnen schließen durften: mit Jean-Luc Godard, der uns einst mit Belmondo «Außer Atem» brachte; mit Norman Foster, den man inzwischen nach der viel angestaunten Bundestags-Kuppel gern als Wahl-Berliner vereinnahmt; mit Guiliano Vangi, dem bestürzenden italienischen Bildhauer, dem Überraschungssieger für mich, der dem Menschenbild unverbrüchlich die Treue zu halten versteht.

Und sonst? Natürlich war mit ihrer schon sprichwörtlichen Herzlichkeit die Adlon-Hausherrin Marylea van Daalen zur Stelle, verspätet hereinstürzend von ihrer hauseigenen «Werther»-Lecture, der Sonnabend-Premiere der Massenet-Oper in der Bismarckstrasse. Arme Marylea! Was wird sie bloß machen, wenn die Sarrazin-Pläne zu greifen beginnen, ihr die Opern-Fundamente wegbröckeln und damit die Adlon-Lektionen?

Klaus Geitel 2002 © Berliner Morgenpost 22.09.2002