20.09.01

Die Hausgötter des Sängers

VON MARIANNE KIERSPEL, 19.09.01, 22:59h

Dietrich Fischer-Dieskau in der WDR-Reihe „Musik im Gespräch“.


„Es ist nicht angenehm, sich selbst vor Publikum zuzuhören,“ gab Dietrich Fischer-Dieskau zu. Ansonsten geizte er mit Persönlichem, als er neulich bei Hans Winking auftrat. An Stelle einer Biografie präsentierte er, der 1993 seine große Sängerlaufbahn beendete, Mitschnitte seiner Konzerte aus einem halben Jahrhundert als Sänger und Dirigent. Man hörte ihn mit Kollegen wie Walburga Wegener, Inge Borkh, Fritz Wunderlich. Und mit Klavierpartnern, deren er etwa 150 erlebt hat. Er hob Gerald Moore heraus, der habe, wiewohl reiner Begleiter, „individuellen Ausdruckswillen“ gezeigt.

In einer Art Kurzseminar über die Werke und Komponisten stellte der Sänger seine „Hausgötter“ vor - Schubert, Schumann, Brahms, Wolf -, nicht nur mit Liedern. In Schu¦berts Finalsätzen hört der Dirigent Flucht und Trotz. In Schumanns Sinfonien hätte selbst ein Mahler die Instrumentation nicht verbessert. Im Deutschen Requiem von Brahms, 1947 das Einstiegswerk des Baritons, unterstrich jetzt der Dirigent die erschütternde Wirkung im Chorsatz „Tod, wo ist dein Stachel“. Und er präsentierte von Hugo Wolf das „unwolfische“ Zwischenspiel aus der Oper „Der Corregidor“.

Zweimal war Verdis „Maskenball“ vertreten, in einer WDR-Produktion der Nachkriegszeit unter Fritz Busch und einer neuen Aufnahme unter Fischer-Dieskau, die wohl „im Sinne Buschs“ geraten sei. Wo sich der Gelehrte zu Kritik entschied, bot er sie knapp, eher subkutan. Dass es so viel „falsche Wagner-Verehrung“ gab, sei im Werk angelegt. Das Werk aber sei nicht zu trennen von Leben und Schriften. Die Cavatine aus dem ersten Akt „Tannhäuser“ habe weniger mit Verdi gemein als mit Meyerbeer, dem Beschimpften. Man müsse aber auch wissen, dass es für Wagner eine „qualvolle Arbeit“ war, eine solche Wirkung zu erzielen wie im Sonnenaufgang der „Götterdämmerung“.

Der Opernkurs schloss überraschend schon bei Richard Strauss, obwohl Fischer-Dieskau so viel über jüngere Werke zu sagen hätte. Immerhin konnte man ihn jetzt noch einmal als Barak hören und seine Frau Julia Varady als „Capriccio“-Gräfin. Strauss habe „unter dem Dualismus von Wort und Musik gelitten“, resümierte der Professor. „Damit geht eine Ära zu Ende. Die Musik muss sich neu besinnen. Und diese Ära nicht verlieren.“ In Zeiten wie diesen will Fischer-Dieskau sich nicht von „Wut und Verzweiflung“ leiten lassen. „Wir dürfen die Werte, die unser Leben ausgemacht haben, auf gar keinen Fall weggeben. Man soll auch heute die Macht der Musik wahrnehmen.“